Tränen machen glücklich
Tränen machen glücklich
Casablanca, Flugfeld, Humphrey Bogart sagt zum letzten Mal : ˝Schau mir in die Augen Kleines˝. Und Ingrid Bergmann steht weinend im Propellerwind. ˝Da habe ich wirklich geheult˝, gestand sie. Und wer nicht mit ihr. Man kommt aus dem Kino – hat ˝Jenseits von Afrika˝ gesehen, und heult ˝Rotz und Wasser˝. Staatsmänner stehen weinend vor den Gräbern ihrer Altvorderen: Töchter, Frauen und Freunde. Und wir…? Schaum und Schande, wenn man Tränen vergießt? Wahrlich nicht!
Tränen sind eine ˝Waschanlage für die Seele˝. Und Wissenschaftler sind sich sicher: sie sind notwendig fürs Überleben. Aus Tränen sind die Menschen geboren - so verheißt es eine alte Sage. Der Sonnengott hatte bei der Erschaffung der Erde so viel zu tun, dass ihm die Augen tränten. Einige Tropfen fielen auf den Boden unseres Planeten und damit waren die ersten Menschen geboren.
Nicht geweinte Tränen, haben die Forscher festgestellt, machen uns krank. Resultat einer imposanten Arbeit. William Frey und sein Kollege Vincent Tuason gingen der Sache am Ramsey Medical Center mit ärztlicher Akribie ˝ans Auge˝. Sie ließen Männer und Frauen weinen. Mal beim Zwiebelschneiden, dann vor dem Bildschirm, als Audrey Hepburn herzergreifend heulte.
Die Tränen wurden gesammelt und chemisch analysiert. Ein langwieriger Prozess, denn jede Träne wiegt nur rund 15 Milligramm. Und rund 66.000 Tränen sind notwendig, um einen Bierkrug zu füllen. Weiter ging’s bei den US-Wissenschaftlern: mit Hilfe der Hochdrucksflüssigkeits-Cromatographie wurden die Tränen in ihre molekularen Strukturen zerlegt. Dabei entdeckten die Heul-Profis drei sonderbare Stoffe: Leuzin-Enkophalin, Lysozyme und Prolactin. Leuzin-E. ist dem Morphium ähnlich; in Schmerzsituationen produziert es der Körper selbst. Lysozyme sind antibakterielle Enzyme, die der Infektionsabwehr dienen. Und Prolactin schließen, ist ein Hormon, das die Bildung von Muttermilch anregt. Allerdings hat es eine Menge psychologischer Wirkungen, die längst nicht erforscht sind. Und das ist es eben. Der Bamberger Diplom-Psychologe Werner Ahr: ˝Ohne Tränen kommt man aus Problemen nicht leicht raus. Sie verschieben sich sonst in Aggressionen. Man entfernt sich von der Ursache des Problems - was alles noch schlimmer macht. Deshalb ist Weinen eine gesunde Reaktion. Und nichts ist gesünder, als sich dazu zu bekennen. Sich Traurigkeit zugestehen, die Verzweiflung des Augenblicks erkennen – nur das kann gesund sein. ˝
Der Stoff aus dem die Tränen sind hat allerlei Gründe. Beim Zwiebelschneiden zum Beispiel rührt sich wenig. Keine Hormone, keine Enzyme. Nur wenn es um wirkliche Gefühle geht, sind sich die Wissenschaftler klar: da nämlich befreit sich der Körper von Stoffen, die er unter Stress produziert hat. Man entledigt sich dieser ˝Stress-Gifte˝ und wird ruhiger, das Gesicht glättet sich wieder, keine Zitter-Reaktion. 200 Männer und Frauen mussten für die amerikanische Studie monatelang weinen. Und peinlichst wurde jede vergossene Träne aufgezeichnet. Dabei stellte sich heraus, dass nur 55 Prozent aller Männer einmal im Monat weinen, jedoch 94 Prozent der Frauen. Aber alle fühlten sich nach dem Weinen sofort besser.
Durchschnittlich weinen Frauen etwa fünfmal im Monat, die Göttergatten bringen es da nur zu ein paar Schluchzern. Es sei denn, im Fernsehen läuft mal wieder ˝Vom Winde verweht˝. Offensichtlich – so haben die Untersuchungen ergeben – weinen die Menschen heute am meisten zwischen 19.00 und 22.00 Uhr.
Dr. J. B. Henson: ˝Viele Männer unterdrücken heute ihre Tränen. Das ist ein Grund, warum sie so oft stresskrank zusammenbrechen. ˝ Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass Männer ˝ohne Tränen˝ häufig an Managerkrankheiten leiden.
Der Schriftsteller Fritz Zorn starb 1976 an Krebs und er schrieb in seinem autobiographischen Roman ˝Mars˝: ˝Obwohl ich noch nicht wusste, dass ich Krebs hatte, stellte ich intuitiv die Diagnose, denn ich betrachtete den Tumor als _verschluckte Tränen’. Das bedeutet etwa soviel, wie wenn alle Tränen, die ich in meinem Leben nicht geweint hatte und nicht hatte weinen wollen, sich in meinem Hals angesammelt und diesen Tumor gebildet hätten, weil ihre wahre Bestimmung, nämlich geweint zu werden, sich nicht erfüllen konnte.”
Knapp 100 Liter Tränenflüssigkeit produziert jeder Mensch im Laufe seines Lebens. Und dabei muss er nicht unbedingt auch weinen. Allein beim Blinzeln – und das passiert ein Dutzend mal in der Minute – flimmert ein zarter Tränenschleier über die Augen. Mediziner erklären das genauer: es ist der “Muzin-Schleier”, der die Augen vor dem Austrocknen bewahrt.
Der Psychologe Werner Ahr: “Viele können Tränen nicht ertragen. Doch die Fähigkeit zum Weinen ist unverzichtbar für das seelische Wohl des Menschen. Und nur wer hin und wieder weint, ist gesund, normal und glücklich.